UNBEKANNT VERZOGEN

…ist eine Berliner Band, deren deutschsprachiger Taschen-Rock mit jedem Hören tiefer unter die Haut kriecht. Was eher selten in der Szene passiert: Die Texte entstehen zumeist vor der Musik. Die Kompositionen schmiegen sich den poetischen Versen, den ruppigen Bildern, dem Gestus von Verletzlichkeit bis Aufbegehren an. Ein balladesker Sound, der seine Vorbilder hat und sie keineswegs verheimlicht. Die Harmonie angefeilt wie Gitterstäbe, das Pathos molldurchsägt.
Überhaupt diese Frontfrau Patricia Heidrich: weich, verletztlich und tough, dieses: fass mich nicht an und nimm doch mit im gleichen Atemzug. Mit ihrer rauchigen Stimme lebt sie die widerspruchsvolle Identität einer Suchenden, Findenden, Hoffenden und Enttäuschten aus. Sie verspricht nicht das gute Ende der Geschichte, sondern den immer wiederkehrenden Mut zum Neuanfang. Nichts vom Glamour roter Teppiche, aber immerhin: die Hundeblume steht in der Vase und die Liebe bekommt ihre Chance. Manchmal will man nur zuhören dabei, manchmal muss man einfach tanzen.
In Thomas Eichler (Gitarre), Gerald Zaczyk (Schlagzeug / Komposition), Karsten Schützler (Bass / Komposition) stehen Patricia Heidrich drei experimentierfreudige Musiker zur Seite, die dafür sorgen, dass UNBEKANNT VERZOGEN lustvoll eigene musikalische Wege beschreitet.
Manchmal liebt man Eichlers behutsam führende Gitarre, manchmal freut man sich an einem Ornament, das auftaucht wie ein Lichtreflex. Manchmal wartet man darauf, dass Gerald Zaczyk seine Stöcke explodieren lässt. Manchmal reißt Karsten Schützler mit einem Riff ein verschwunden geglaubtes Lebensgefühl von den Saiten.
Das ist ein authentischer urbaner Klang, der die Alleintänzerin ins Kopfkino ruft. Das ist ein wohlkalkuliertes Freeclimbing an den Fassaden der Gefühle, mit rauer Haut und rauer Sehnsucht, das nach den Griffen sucht, sich festzuhalten im Alltag zwischen Selbstbehauptung und Absturz. Nichts davon gerät zur Attitüde, dafür sorgen private und berufliche Erfahrungen, die allen Bandmitgliedern auch die Schattenseiten des Lebens offenbart haben.
Vielleicht fokussieren sich die Songs von UNBEKANNT VERZOGEN gerade deshalb auf eine - sei‘s drum - zerbrechliche, bis an den Rand des Selbstbetrugs ausgeschöpfte Gemeinsamkeit, in der weniger die ewige Erfüllung erhofft wird als das Gegengift für den Augenblick und den Rest einer Nacht. Dabei ist die Band alles andere als schwerblütig. Lebensdurstig, liebeswütig, unfeierlich und sinnlich präsentiert sich UNBEKANNT VERZOGEN mit „erwachsener Musik für erwachsene Menschen“.
Und die Weisheit ist da, dass sich auf vieles verzichten lässt, nur nicht auf den eigenen Anspruch, ein Mensch zu sein.

Henry-Martin Klemt